"Mein schwäbisches Ich" - ein zeitgenössisches Kunstprojekt entsteht
Im Rahmen der Großen Landesausstellung „Die Schwaben"

Zwischen Mythos und Marke" wird das zeitgenössische Kunstprojekt „Mein schwäbisches Ich" im Foyer des Alten Schlosses präsentiert. Das Projekt soll Klischees und Widersprüchliches, Eigenwahrnehmung und Fremdbilder zum Vorschein bringen. Spätzle, Kehrwoche, Schwäbische Alb, fleißig sein - was ist identitätsprägend? Zugehörigkeit ist nichts Starres, sondern etwas Bewegliches und Wandelbares. In einer transkulturell geprägten Stadt wie Stuttgart werden Identitäten und Zugehörigkeiten stets neu verhandelt. Daran setzt dieses Projekt an. Was ist schwäbisch? Wie viel Schwabe steckt in mir? Wie vermischen sich unterschiedliche kulturelle Hintergründe? Was entsteht daraus? Wie sieht mein „schwäbisches Ich" aus? Aus diesen Fragen sollen künstlerische Antworten entstehen.

Über den Sommer haben die Stuttgarter Künstlerin Gabriela Oberkofler und Mitglieder des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart daran miteinander gearbeitet. Die Teilnehmenden leben in erster, zweiter oder dritter Generation in Schwaben. Die in Bozen geborene und in Stuttgart lebende und arbeitende Künstlerin studierte an der University of Visual Arts in Corner Brook (Neufundland) und an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Sie hat zahlreiche Stipendien und Preise erhalten und bindet Gruppen aus der Gesellschaft gern in ihre künstlerische Arbeit ein. Die Teilnehmenden vom Deutsch-Türkischen Forum haben persönliches Material zur Verfügung gestellt, dass sie zusammen mit Gabriela Oberkofler künstlerisch bearbeiten.

Das folgende Interview gibt die Geschichten hinter den entstandenen Werken wieder und berichtet von deren Entstehung und vom Schwäbisch-sein. Nacheinander befragt wurden Ergun Can (58), stellvertretend für die Teilnehmenden vom Deutsch-Türkischen Forum, und die Künstlerin Gabriela Oberkofler (41). Ergun Can beherrscht das traditionelle Handwerk, schwäbische Fasnachts-Masken zu schnitzen. Für das Projekt stellt er einige zur Verfügung und überarbeitet sich zusammen mit Gabriela Oberkofler künstlerisch.

Herr Can, bitte stellen Sie sich kurz vor und erzählen Sie, was Sie zum Projekt „Mein schwäbisches Ich" geführt hat.

Can: „Mein schwäbisches Ich" habe ich 1964 entdeckt. Damals kam ich mit meinen Eltern in einer zweitägigen Zugreise von Istanbul über München nach Schrambergund wollte meine schwäbische Identität eigentlich gar nicht entdecken. Ich wollte bei meiner Oma in Istanbul bleiben. Zwei Tage habe ich nicht mit meinen Eltern gesprochen. Aber ich habe mich nach kurzer Zeit zurechtgefunden. Ich ging in den Kindergarten, wir lebten in einem großen Haus mit Gastwirtschaft und Metzgerei, da waren andere Kinder und so bin ich in das Schwäbische eingetaucht. Als ich dann zur Schule ging, habe ich mich schnell für das Thema Fasnacht interessiert.

Für meine Eltern war das eher schwierig nachzuvollziehen. Von meiner Herkunft und Religion war das ja kein Brauchtum. Aber sie haben mich machen lassen. Auch wenn sie skeptisch waren, was der Bub macht. Nach dem Motto: „Flippt er jetzt ganz aus und taucht in eine fremde Welt und Kultur ein?"

In Schramberg ist ein riesiger Umtrieb zur Fasnachtszeit. Da war ich mit meinen Freunden immer bei den Umzügen dabei. In der Abschlussklasse hab ich unseren Werklehrer gefragt, ob ich eine Möglichkeit bekommen könnte, Fasnachtsmasken zu schnitzen. Und ich hatte zwei Freunde: Michael und Rudi. Zu dritt haben wir angefangen, in der Werkstatt von einem Steinmetz Masken zu schnitzen.

Was ist für Sie typisch schwäbisch?

Can: Typisch schwäbisch ist für mich die Pünktlichkeit. Aber nicht die Kehrwoche! Vor allem aber sind Schwaben in gewissem Maße interessiert und neugierig. Also in Schrambergwardasso, in meiner Kindheit, diese Gastfreundschaft! Interessiert zu sein gegenüber jemandem, der aus einer fremden Kulturen kam, das war für mich in der damaligen Zeit sehr, sehr prägend und entscheidend!

Was ist an Ihnen schwäbisch?

Can: An mir ist vieles Schwäbisch! Ich bin in einem schwäbischen Umfeld aufgewachsen. Als kleines Kind ist man ja wie ein Schwamm, man saugt alles auf.

Ich habe gemerkt, dass ich auf Pünktlichkeit und diese Tugenden sehr viel Wert lege. 1991/92 habe ich zwei Jahre in Istanbul gearbeitet. Die Zeit war sehr toll, ich würde sie nicht missen wollen. Aber obwohl ich die Sprache konnte, hab sehr lange gebraucht, um wieder in die türkische Kultur reinzukommen.

Ich war zu sehr Kopfmensch, rational und dort war eher die bauchbetonte Emotionalität gefragt.

Was macht das Besondere der Schwaben unter den Deutschen aus?

Can: Ich hab zum Beispiel während meines Studiums eine Zeit lang in Hessen gewohnt. Da habe ich gespürt, dass die Hessen ein stückweit „runterschauen" auf die Schwaben, weil die Schwaben halt immer fleißig waren. Die haben gespart und haben nicht alles gleich ausgegeben. Das Ziel war eher schaffe, schaffe, Häusle baue. Die anderen waren eher für ausgehen, leben. Und dann habe ich auch die Erfahrung mit meiner Frau gemacht, die kommt aus Hamburg. Da waren die, die Geschäfte gemacht haben, die Handel betrieben haben und natürlich weltoffen waren und nicht so „kleinkariert", wie man es den Schwaben zuschreibt.

An diesen Unterschieden habe ich gemerkt, wie das ist, in einem Land zu sein, Deutschland, das regional sehr unterschiedlich ist. Und das ist überall auf der Welt so. Das ist egal wo ich hingehe. Da gibt es überall regional spezifische Regionen. Sei es Österreich, sei es die Türkei. Es sind unterschiedliche Regionen, die die Menschen prägen und nicht nur „die Deutschen", „die Italiener", „die Türken".

Das ist das Schöne an dem Thema Vielfalt! Was mir zugutekommt ist, dass ich mich sehr schnell auf unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Gegebenheiten einstellen kann, weil ich zweisprachig aufgewachsen bin. Und ich habe immer die Fähigkeit gehabt, nicht nur in einer Sprache zu sein, sondern zweisprachig zu denken und zu fühlen und zu leben.

Wie klingt Schwäbisch für Sie?

Can: Für mich ist das meine Muttersprache.

Was meinen Sie: Kann man Schwabe werden?

Can: Nein, Schwabe kann man nicht werden! „Nur der Schwabe hat die Gabe", so ist doch der Spruch, „das ein oder andere zu tun oder nicht zu tun". Aber man muss nicht als Schwabe geboren werden, um Schwabe zu sein!

Wo fühlen Sie sich heimisch?

Can: Ich fühl mich sehr heimisch in Schramberg. Insbesondere bei der Familie einer Schulfreundin, das sind fürmich meine Wahleltern. Da fühl ich mich wie zu Hause. Da kann ich alles tun und lassen, wie in meinen eigenen vier Wänden.

Meine Eltern sind 1982 zurück nach Istanbul. Mein Vater ist hier nicht warm geworden. Das war nicht sein Land. Ich habe ganz andere Erlebnisse gehabt, meine Schwester und mein Bruder natürlich auch. Wir haben uns alle drei für hier entschieden. Das war für mich klar, ich will in der Gesellschaft hier einen Beitrag leisten.

Frau Oberkofler, was reizt Sie an dem Projekt „Mein schwäbisches Ich"?

Oberkofler: Was mich im Vorfeld sehr interessiert hat war, dass ich für meine künstlerische UmsetzungZugangzurSammlungvom Landesmuseum Württemberg haben würde und meine Kunst mit Objekten kombinieren kann. Und ich glaube, es gibt zwei Gründe, warum das mit mir funktionieren könnte in diesem Projekt.

Da ist einerseits mein Interesse an einer anderen Kultur und auch das Interesse, jemand anderen verstehen zu wollen, unbedingt verstehen zu wollen. Oder unbedingt etwas erfahren zu wollen. Und andererseits mein Interesse für die Volkskultur.

Wenn ich jedoch ganz ehrlich bin, fühle ich mich nicht besonders schwäbisch. Ich fühle mich sehr wohl in Stuttgart. Aber ich weiß auch nicht, wie man sich schwäbisch fühlen kann. Das ist für mich eherein abstrakter Begriff.

Worum geht es genau in dem Projekt?

Oberkofler: Es ist ein ganz klar partizipatives Projekt. Und es war für mich von Anfang an klar, dass „Mein schwäbische Ich" nicht funktionieren kann ohne das Hinzukommen anderer Kulturen. Deswegen gab es die Bemühungen unsererseits, mit dem Deutsch-Türkischen Forum zusammenzuarbeiten. Denn nur dadurch werden wir mehr erfahren. Ich finde, nirgends funktioniert das Zusammenleben besser als in Stuttgart. Ich meine, wir sind Integrationsstadt Nummer eins. Natürlich gibt es Probleme, die gibt es immer. Aberich empfinde es als sehrangenehm wie wirzusammenleben. Ich empfinde es als absolute Bereicherung. Und ich bin sehrfroh, dass wir in der Lage sind miteinanderzu reden, uns auszutauschen. Deswegen ist zum Beispiel Ihre Idee, Herr Can, fantastisch! Sie haben es ja vorhin erzählt: Dass die türkische Lebensmentalität mit der christlichen Fasnacht zusammenkommen kann -das ist einfach nur bereichernd.

Sie sagten gerade: Das Projekt ist partizipativ, lebt also von den Impulsen der Teilnehmenden. Was bedeutet das für den künstlerischen Prozess?

Oberkofler: Das ist sehr ausschlaggebend für den künstlerischen Prozess. Wir erarbeiten die einzelnen Elemente zusammen, also in einem Dialog. Ich versuche das, was ich bekomme, zu verwerten, es künstlerisch umzusetzen. Was mir ganz wichtig dabei ist, ist, dass es nicht in irgendeiner Form bewertet wird. Es ist ein wertfreies Zusammentragen und es fließt eine bestimmte Offenheit mit ein. Und zwar, weil die Teilnehmenden vom Deutsch-Türkischen Forum mir sehr offen begegnet sind.

Can: Ich habe Sie, Frau Oberkofler, heute zum ersten Mal getroffen. In unserem Gespräch kommt mir es vor, als würden wir uns lange kennen, weil sich das einfach zwanglos entwickelt hat. Und weil es spannend war, was man für Biografien auf der anderen Seite hat. Und das muss ich schon sagen, das ist in Stuttgart, was das Thema Integration anlangt sehr gut. Man hat natürlich auch lange Jahre Erfahrung mit der ehemaligen oder ersten Gastarbeitergeneration. Und man hat natürlich auch Möglichkeiten, Projekte zu machen und auch künstlerische Sachen umzusetzen. Das ist toll, aber es muss immer finanziell möglich sein. Und das kommt Menschen wie uns zugute, dass man sich entfalten kann.

Frau Oberkofler, welche künstlerischen Beiträge entstehen zusammen mit den Teilnehmenenden?

Oberkofler: Neben den Fasnachtsmasken von Herrn Can: Eine Filmsammlung, die handelt vom Fliegen und hat mit der Freiheit zu tun. Diese Freiheit ist klar damit verbunden, hier zu leben. Die Aufnahmen wurden von einem Teilnehmenden selbst im Flugzeug gemacht. Dazu zeichne ich Trickfilme, die dazwischen geschnitten werden.

Außerdem werden von zwei Personen Porträts entstehen. Beide haben einen Gegenstand in der Hand, der etwas über ihr „schwäbisches Ich" aussagt.

Eine teilnehmende Pianistin wird „Auf der Schwäbischen Eisenbahn" auf einem Klavier spielen.

Einer der Teilnehmenden wandert mit dem Schwäbischen Albverein. Er entwirft mit mir zusammen eine Wanderkarte mit Lieblingsorten. Diese Karte wird bereichert um Fotos aus der Sammlung.

Welche Geschichte hat Sie besonders überrascht?

Oberkofler: Die Geschichte vom Fliegen. Oder nein! Es haben mich alle überrascht. Alle Geschichten waren anders, als ich es erwartet hätte.

Wie finden die Auswahl der Masken von Herrn Can und deren künstlerische Bearbeitung statt?

Oberkofler: Wir entwickeln mit verschiedenen Masken gemeinsam etwas Neues. Im Gespräch entstand zum Beispiel derVorschlag, die Masken mit neuen Kopftüchern zu versehen. Ich hätte mich erst nicht getraut, einen solchen Eingriff vorzuschlagen. Aber es hat sich so im Gespräch mit Herrn Can entwickelt.

Herr Can, was ist das Besondere an Ihrem Handwerk?

Das Besondere ist, dass ich mit nicht-deutschen Wurzeln zwei Freunde dazu motiviert habe, das mit mir zu machen. Der Bezug kommt nur, wenn man in der Region gelebt hat.

Die Fragen stellte Franziska Soehring, Dipl. Kulturwissenschaftlerin, aus der Kulturvermittlung am Landesmuseum Württemberg.